Zuerst: Knize spricht man sinnbildlich mit weichem „Sch“ wie in „schön“ aus. Der Wiener Herrenausstatter hat Tradition und da gehört das „Knische“-Hauchen zum Aufnahmeritual in den Kreis der Stamm-Kunden. Diese erfahren dafür von der irren Geschichte hinter dem Marmor-Portal
Wenn alles aus den Fugen gerät gibt es Rituale, die erden. Dazu braucht ein Mann etwa einen Hausmantel. Zieht er ihn an, ist er zu Hause, denn der symbolische Akt trennt Alltag von Privatheit. Weiter braucht er einen männlichen, warmen Duft, der ihn schon beim Auflegen verwandelt. Außerdem braucht ein Mann einen Smoking, und zwar einen auf den Leib geschneiderten, der perfekt fällt und ihn dazu bringt, sich elegant zu bewegen. Symbolik verfeinert das Leben, indem sie Handlungen bewusst macht. Doch in der bekanntlich weniger ästhetischen Realität gibt es nur noch eine Handvoll Geschäfte, die sich darauf spezialisiert haben. Darum sind die Wenigen wahre Inseln in der Kaufhaus-Tiefsee und kommen einem umso schöner vor. Knize ist so eine Insel in Wien.
Betritt man den Laden im ersten Bezirk durch das schwarze Marmorportal, nimmt einen sofort eine köstliche Illusion ein: Alles ist gut. Obwohl man sich die Zuneigung der Verkaufsdamen schon erarbeiten muss. Die Grantlerinnen begrüßen ihre Kunden im engen Entree mit hochgezogener Augenbraue, solange sie nicht zu den 1000 der Stammkartei gehören. Lässt man sich davon nicht verschrecken, entdeckt man direkt neben ihnen auf dem Jahrhundertwende-Verkaufstisch die berühmten Knize-Parfums, die ersten Herrenduftserie der Welt. James Dean trug das nach Rosmarin, Zedern- und Sandelholz duftende „Knize 10“ und Billy Wilder kaufte sogar einmal den gesamten Bestand auf, weil es in Hollywood so schwer zu bekommen war. Nur vier Schritte weiter saugt einen die geschwungene Treppe mit ihren geräuschvollen Holzstufen förmlich an. Die obere Etage ist eine Höhle aus Holz und Leder, in der es so ruhig zugeht, dass sich die eigenen Bewegungen automatisch mitverlangsamen. Beruhigend ist es, aus einem der Sessel dabei zuzusehen, wie die Kunden sich für einen Maßanzug vermessen lassen oder seidene Knize-Hausmäntel und schwarze Brioni-Fracks anprobieren. Selbst junge Kunden tragen hier maßgeschneiderte Dreiteiler oder Kaschmir-Pullover mit weiten Stoffhosen, dazu moderne Details wie bunte Socken. Der Knize-Träger ist eine Mischung aus Humphrey Bogart, dem Popstar Stromae und einem Jäger in Wachs-Jacke. Es herrscht eine lange gewachsene Vorstellung vom Schönen und Guten.
Knize gilt als die erste Herrenmodemarke weltweit seit 1920, doch schon vor der Marke gab es den Laden. Der böhmische Schneider Josef Kniže – den Familiennamen schreibt man mit ž, den Laden meist mit z – gründete ihn vor über 150 Jahren, zu Zeiten Kaisers Franz Josef I, Madame Bovarys und Heinrich Heines. Zur Eröffnung schrieb er in der Zeitung: „J.Kniže, Schneidermeister für Civil und Militär zeigt hiermit höflich an, daß er das seit vielen Jahren bestehende Geschäft übernommen und durch elegante und moderne Arbeit die Kunden seines Vorgängers zu erhalten suchen wird.“ Knapp zwanzig Jahre führte er den Laden und bekam die Fortschrittsmedaille der Wiener Weltausstellung verliehen. Er führte den osmanischen und persischen Hoftitel, setzte sich gegen die englischen Sport-Geschäfte durch und versorgte Herzöge mit Reit-Kleidung. Als der alte Kniže 1880 starb übernahm sein Sohn, der bereits fünf Jahre später verschuldet war. So stieg der jüdische Bankierssohn Albert Wolff in das Unternehmen ein und rettete die Finanzen. Kniže Junior wurde „k.k. Hof-Schneider“, starb aber im selben Jahr und so wurde Albert Wolff Alleininhaber. Er heiratete die Tochter einer Bauherrin des berühmten Architekten Adolf Loos, die nach dem Tod ihres Mannes gegen alle damaligen gesellschaftlichen Vorstellungen den Herrenausstatter weiterführte. Dabei kamen Giesela Wolffs gute Beziehungen ins Spiel: Adolf Loos, der Bekannte ihrer Mutter, gestaltete 1910 die Belle Époque-Filiale am Stephansdom mit dem goldenen Schriftzug.
Die obere Etage in diesem Loos-Haus ist eine Mischung aus Privat und Öffentlich, weil sich die touristische Laufkundschaft selten dort hinauf verirrt. Sie ist erst verwinkelt und mit Holz-Decken abgehängt, weitet sich aber mit den hinteren Räumen in erstaunliche Breiten aus. Die dicken grünen Teppiche, auf denen zusätzliche rote Perser liegen, schlucken alle Geräusche und so hört man nur ab und zu den schabenden Ton, den das Kirschholz der Schränke und Vitrinen beim Öffnen von sich gibt. Braune Tapeten tönen das einfallende Licht ab, doch die Decken sind hoch genug, um der Atmosphäre Luft zu geben. Zentral steht ein Bock mit Reitsattel darauf; eine Spielerei, wie sie typisch für den Laden ist, indem in den 1920er Jahren viele Künstler einkauften. Der Maler Oskar Kokoschka bezahlte seine Anzüge mit Gemälden. Regisseur Billy Wilder ließ seine Outfits bis zum Tod bei Knize anfertigen, Kurt Tucholsky kaufte hier Hemden und Marlene Dietrich die Fracks für ihre Bühnenshows. Filmemacher Fritz Lang war Kunde und als Josephine Baker Skifahren ging, bekam sie ihre Hosen in diesen Räumen angepasst. Durch den Erfolg konnte die Witwe Wolff expandieren und ließ ihren Architekten Adolf Loos Filialen in Karlsbad, Berlin und Paris gestalten. 1924 übernahm dann ihr Sohn Fritz den Laden und machte Knize zur Marke: Polo wurde zum Symbol höchster Eleganz stilisiert und das Image auf die Marke übertragen, unter anderem durch das Parfum „Knize 10“, das nach der höchsten Zahl beim Polospiel benannt wurde. Als Knize damit auf dem Höhepunkt des Erfolges war und seit 50 Jahren den Wolffs gehörte, wurde die Familie in „Wolff-Kniže“ umbenannt.
Doch mit dem Anschluss an das Deutsche Reich kam ihr Laden 1938 in Nazi-Verwaltung und die jüdische Familie musste Österreich verlassen. Sie ging zuerst nach Paris und kam von dort in ein Sammel-Lager bei Bordeaux, konnte aber weiter nach New York fliehen. Dort wurde der Familien-Name Woff-Kniže komplett auf Kniže verkürzt. So gab es im amerikanischen Exil einen „echten“ Knize-Laden in der 56. Straße. Einige Kunden waren sogar dieselben wie in Österreich, da auch sie fliehen mussten. In der Zwischenzeit führten die eigenen Angestellten das Wiener Geschäft weiter. Es handelte sich also um eine „freundliche Arisierung, auf jeden Fall besser als durch Fremde“, wie ein Kniže-Enkel vor einiger Zeit an die Wiener Zeitung schrieb. Dennoch kleidete sich dort der NS-Gauleiter Baldur von Schirach ein, während die eigentlichen Inhaber im Exil saßen. 1945 gaben die Angestellten das Unternehmen ohne Probleme an Fritz Kniže zurück, doch es wurde nach Kriegsende nie wieder wie vorher. Das Geschäft in Berlin war zerstört, die Kniže-Nachfolger blieben Großteils in den USA und Fritz Kniže starb nach kurzer Zeit. Die wertvolle Kunstsammlung mit Werken von Oskar Kokoschka und Egon Schiele war in Nazibesitz; Teile davon sind heute in bekannten Wiener Museen ausgestellt und wurden noch immer nicht zurückgegeben. Dieses Thema wird in der aktuellen Chronik des Unternehmens ausgespart, was einen seltsamen Beigeschmack hinterlässt.
In den 1970er Jahren verlor Kniže durch den Eisernen Vorhang die Filialen in Karlsbad und Prag, später musste auch die Pariser und New Yorker Filialen geschlossen werden. Heute gibt es Knize trotzdem noch am Graben 13 in Wien, direkt am Stephansdom. Äußerlich sich seit 1910 kaum etwas verändert. Nur wenn man die Geschichte des Ladens kennt weiß man, was anders geworden ist. Rudolf Niedersüß, der 1956 als junger Modeschüler bei Knize in die Praxis ging, leitet das Haus mit 40 Mitarbeitern seit den 70er Jahren. Wenn er sich zur Ruhe gesetzt hat, soll sein Sohn übernehmen, doch der hat sich gerade mit einem eigenen Geschäft selbstständig gemacht. Außerdem wird bei einem Generationenwechsel die Miete so stark angehoben, dass er vielleicht das Ende für Laden in der Wiener Innerstadt bedeutet. So erlebt der neue, alte Knize-Laden zum dritten Mal eine bewegte Familiengeschichte in anderer Besetzung. Hoffentlich bleibt die Insel der Langsamkeit dabei erhalten. Solche Orte sind wichtig, weil sie einen durch schöne Symbolik zu erden.
Text: Maja Hoock (erschienen bei L’Officiel Hommes Deutschland)
Info: Knize befindet sich Am Graben 13 in Wien