Kommentar – Die Möglichkeit des Bösen

Schulen rüsten auf – Doch totale Sicherheit gibt es nicht.

Foto: Colin Hazelden
Foto: Colin Hazelden

„Guns for girls“ steht auf dem Shirt einer Demonstrantin in Denver. Nur Wochen nach dem Amoklauf an der Schule in Connecticut, bei dem Adam Lanza 26 Menschen und sich selbst erschossen hat, geht diese Frau wie hunderte andere dagegen auf die Straße, dass es schwieriger werden soll, Sturmgewehre zu kaufen; Schusswaffen schützen angeblich vor Schießereien. Zeitgleich werden Schulen zu Hochsicherheitstrakten.

Das zielt am eigentlichen Problem vorbei. Die Sandy-Hook-Schule wurde noch kurz vor dem Attentat „sicher“ gemacht: Besucher mussten klingeln und über Kameras identifiziert werden, um nach halb zehn eingelassen zu werden. Doch Lanza hat die Türe aufgeschossen. Auch Metalldetektoren bringen nichts, wenn sich ein Schütze gewaltsam Zugang verschafft. Der angedachte „Panik-Knopf“, der die Polizei alarmiert und den Schülern signalisiert, sich zu verstecken, ist leicht realisierbar, bringt aber nicht mehr als Handys und die Schulsirene. Bauliche Maßnahmen sind zu umgehen, solange es keine Orwell’sche Total-Kontrolle gibt.

Doch auch Prävention ist schwer umsetzbar, da die Taten nicht vorherzusagen sind. Wir stehen vor Amok-Läufen, wie einst die verängstigten Kolonialherren, die den Begriff von Malaysia nach Europa brachten: Irrationale „Wilde“, die in ihrer Ehre gekränkt waren, rasten „Amuk“-schreiend und tötend in eine Menschenmasse. Ebenso wenig rational ist erklärbar, weshalb Schüler ihre Klassenkameraden töten. Weder stundenlanges virtuelles Mortal-Combat-Schießen, noch  Surfen auf Gewalt-Porno-Seiten macht einen jungen Mann – Amokläufer sind zu 97 Prozent männlich – zum Massenmörder. Ähnliche Taten gab es schon vor dem ersten Computer. 1871 schoss Julius Becker in seinem Saarbrücker Gymnasium auf zwei Mitschüler. Seitdem gab es weltweit rund 100 Amokläufe an Schulen, die meisten davon in den USA.

In der Debatte um Sicherheit wird vergessen, dass Menschen seit ehedem dazu fähig waren, angebliche Hexen zu verbrennen, Volksstämme auszurotten oder Juden, Homosexuelle und Zigeuner zu vergasen. Es gab Berserker, Massenmörder und Folterknechte. Weil  diese Möglichkeit des Bösen nicht begreifbar und darum beängstigend ist, führt man kurzsichtige Debatten um Killerspiele und Sicherheitstüren. Es war nach dem Amoklauf in Aurora sogar im Gespräch, Batman-Kostüme für Kinogänger zu verbieten, da der Mörder eines in der Art trug. Kleiderordnungen als Antwort auf Wahnsinn: Das ist hilflos.

Man kann bei vergangenen Amok-Taten erkennen, dass Einsamkeit, Demütigungen und Rache dafür eine Rolle gespielt haben.  Dass es ein Waffenverbot geben muss, um zu verhindern, dass diese Rachegelüste ausgelebt werden, liegt auf der Hand. Es ist aber auch klar, dass Mathe und Deutsch im Lehrplan nicht genügen. Ebenso wichtig ist die philosophische Auseinandersetzung mit den Fragen „Wie wollen wir in Zukunft Leben?“ und „Was bedeutet eigentlich Fortschritt?“. Das ist das wenige Realisierbare. Eine amoksichere Schule bleibt dagegen bloße Augenwischerei, solange es die Möglichkeit des Bösen, also, solange es Menschen gibt.

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