Menschen sind besessen von Dinosauriern, weil sie der abstrakten Endlichkeit ein Gesicht geben. Dabei haben die Dinobilder, die wir kennen, nichts mir der Realität zu tun
Niemand wurde so oft wiedergeboren, wie Dinosaurier. Sie sind vor 65 Millionen Jahren ausgestorben, erlebten aber zig Renaissancen. Eine davon durch Kinder, die mit ihnen spielen, weil sie in ihrer Vorstellung mit einem mächtigen Fußtritt eine ganze Kleinstadt unter sich zermalmen können, wenn ihnen jemand blöd kommt. Ein weiteres Comeback erlebten sie im Privatfernsehen der 90er-Jahre. Viele wollten so cool sein wie Robbie Sinclair, 14-jähriger Rebell der Dinos, der mit Ringelshirt und Chucks an eine Hypsilophodon-Version des frühen Kurt Cobain erinnerte. Die Dino-Riders kämpften an der Seite der Valorianer mit Space-Time-Energy; bei der Familie Feuerstein waren Dinosaurier zugleich Haushund und Müllschlucker. Viele kleine Jungen mussten außerdem heimlich weinen, als In einem Land vor unserer Zeit der gute Langhals ums Leben kam. Freundlich war das orangefarbene Ding, das nur Blätter fraß und seine Brut vor Tyrannosaurus Rex in Sicherheit bringen musste. Der trägt seine Boshaftigkeit schon im Namen. Ob T-Rex wirklich ein ledriger Killer war, ist heute umstritten. Und Langhals gab es angeblich nie.
Die Vorstellungen von Dinos ändern sich mit Zeitgeist und Forschung. Aus Überresten hat man schon im Mittelalter versucht, zu rekonstruieren, was einmal war, doch aus versteinerten Knochen ein genaues Bild zu bestimmen, war schwierig. Damals riefen die Funde Vorstellungen von Drachen hervor; mit Beginn der Aufklärung eine regelrechte Dinomanie. Es wurden Dino-Parks errichtet, Bildchen gesammelt und die Forschung auf ihren Höhepunkt getrieben. Doch die Wissenschaft war sich nie einig. Um 1830 hielt man Dinos für clevere, lebhafte Tiere, dann für dümmliche Riesen. Ein paar Jahre später glaubte man schon wieder, dass sie intelligente, soziale Wesen waren. Einmal sahen sie nackt aus, dann wieder gefiedert. Erst sollen sie braun gewesen sein, heute geht man von Ringelmustern in Rot und Gelb aus. Und durch einen am falschen Ende des Tieres platzierten Schädel brach sogar der Knochenkrieg aus: Zwei Forscher wollten mit ihren unterschiedlichen Theorien recht behalten und dazu noch möglichst viele Arten entdecken. Heute ist man der Auffassung, dass nur ein Bruchteil ihrer beschriebenen Tiere gelebt hat. Jedes Jahr kommen zwar 30 neue dazu, dafür werden einige Lieblingssaurier wie der langhalsige Brontosaurus für Blödsinn erklärt. Das muss man erst einmal schaffen: innerhalb einer ausgestorbenen Spezies erneut ausgelöscht zu werden.
Für das Bild, das heute fest mit dem Wort Dinosaurier verbunden ist, ist der tschechische Zeichner Zdenek Burian verantwortlich. In den 1920er-Jahren hat er damit angefangen, die Entwicklung der Erde bis in die Jungsteinzeit zu dokumentieren. Oder besser gesagt, seine Vorstellung davon zu illustrieren. Und weil er im normalen Leben vor allem Karl-May- und Jules-Verne-Bücher bebilderte, waren seine Dinos so beseelt wie die schönen Helden und hässlichen Schurken in den Romanen. Diese Tiere platzierte er in Phantasielandschaften vor violettem Abendhimmel, Dunstwolken und Wetterleuchten. Weil diese Welten so schön sind und dazu niemals betreten werden können, reißt die Begeisterung für Burians Bilder nicht ab, nach dem Motto “was ich haben will, das krieg’ ich nicht”. Gerade ist ein neues Buch mit dem Titel Die verlorenen Welten des Zdenek Burian erschienen. „Vergiss die Zeit und die Welt, wie Du sie kennst“, steht da. „In Jahrmillionen vergangener Zeiten erstreckten sich andere Kontinente über unsere Erde. Andere Gebirge ragten in den Himmel, und andere Flüsse flossen zwischen ihnen durch breite Täler. Andere Geschöpfe bewohnten Land und Meer, kleine zarte Tierchen und unförmige Ungeheuer unerhörter Größe. Und über diesen vergangenen Welten strahlte immer unsere Sonne.“
Die Sonne ist das einzige, das gleich geblieben ist. Den Rest der verlorenen Welt hat nie jemand von uns gerochen, gefühlt oder gesehen. Sie nachträglich zu bebildern macht Dimensionen greifbarer, die die Menschheit in Hinblick auf die Geschichte zu einem winzigen Baustein in der Michstraße werden lassen würden, also verschwindend klein. Die Bilder geben den Rahme im unendlich Ausgedehnten: Ein freundlicher, orange-farbener Langhals macht eine Welt sichtbar, in der noch nichtmal die Idee eines Mannes oder einer Frau geboren war. Bilder sind Erklärungsmodelle, geben Halt und so treibt nicht mental ins kalte Nichts – das ist eine der Prinzipien der Wissenschaft.
Jetzt ist der Gedanke, dass Dinosaurier allesamt in kürzester Zeit ausgestorben sind nicht gerade haltgebend. Er zeigt, wie zerbrechlich alles ist. Terrence Malick stellt in seinem monumentalen Film Tree of Life zwei Szenen nebeneinander: Ein Dinosaurier schaut einen sterbenden Artgenossen an und zieht weiter. Er frisst ihn nicht, sondern zeigt Trauer, ein kleines Drama vor 235 Millionen Jahren. Eine Sekunde später sieht man eine Familie in den 1950er-Jahren mit ihren eigenen Sorgen. Die Milliarden Dramen, die zwischen denen der Dinos und den ihren liegen, lassen die Endlichkeit ihre Zähne so fies blecken wie T-Rex höchstpersönlich. Saurier sind Sinnbild der Endlichkeit. Und weil sie damit in unseren Gedanken existieren wie Einhörner und der Weihnachtsmann, sind sie nichts anderes als das, was Drachen für das Mittelalter waren: eine Metapher. Ob sie pink oder grün waren, ist dagegen egal. So werden sie immer weiter wiedergeboren werden und uns noch lange mit dem schaurigen, aber gleichzeitig irgendwie beruhigenden Gefühl beseelen, dass vieles relativ ist.
Info: Das neuste und schönste Dinosaurier-Buch ist gerade bei Matthes&Seitz in der Reihe „Naturkunden“ erschienen. „Die verlorenen Welten des Zdeněk Burian“ zeigt hunderte Zeichnungen des Tschechischen Illustrators.
(Text: Maja Hoock, erschienen in L’Officiel Hommes Deutschland)