The Interior Post

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Resin ist ein poetisches Material – obwohl der deutsche Name „Kunstharz“ total banal klingt.

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Erschienen in: Interior Post Nr. 1!

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Design: Unterm Radar (Arne Vodder)

Über den Designer Arne Vodder ist bislang nur wenig bekannt – dabei sind seine Sideboards Ikonen des Danish Modern.

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The Interior Post #1 (März 2016)

Plötzlich sah man sie überall: Als die skandinavische Design-Bewegung in den 1950er Jahren ein besseres Leben durch schöneres Wohnen propagierte, schafften es Arne Vodders Möbel von Dänemark aus in die ganze Welt. Dennoch findet man seinen Namen heute weder in Monographien, noch kann man im Kopenhagener Danish Design Museum oder im Tropholt Museum für Moderne Kunst etwas über ihn sagen. Arne Jacobsen, der Erfinder des „Egg-Chair“, den kennt man. Vodder dagegen? Keine Ahnung. Selbst Fachleuten ist nicht viel mehr über ihn bekannt, als ein paar Stationen seines beruflichen Werdegangs: Er stand immer ein wenig im Schatten seines Freundes Finn Juhl, einem berühmten Danish-Modern-Designer der ersten Generation. Nachdem er eine Ausbildung als Kunst-Tischler abgeschlossen hatte, studierte Vodder bei Juhl Architektur an der Kopenhagener Kunstakademie, gründete sein eigenes Studio mit Anton Borg, entwarf 1.100 Häuser, sowie Möbel, die ikonisch wurden. Viel mehr Informationen gibt es nicht. Vielleicht liegt das am Charakter des Designers. Der 1926 geborene Vodder war ein zurückhaltender Mann mit nachdenklichen, schmalen Augen, der sich eher im Hintergrund aufhielt. „Er hatte eine extrem ruhige und ausgeglichene Persönlichkeit“, sagt seine Tochter Pia, die man ebenfalls mit einigem Recherche-Aufwand aufspüren muss, wenn man mit ihr sprechen möchte. „Ich habe ihn nie seine Stimme erheben hören. Doch obwohl er kein Mann vieler Worte war, konnte er sich mit Menschen aus allen möglichen Ländern und sozialen Schichten gut unterhalten.“

dscf1892Arne Vodders Möbel sind eng mit dem polyglotten Lebensgefühl amerikanischer Großstädte Mitte des 20. Jahrhunderts verbunden. Flugbüros in Chicago, Botschaften in Washington oder große Banken und Hotels in New York waren mit seinem Design ausgestattet und die in dunklem Holz geschwungenen, klaren Linien stellten die Kulisse einer immer offner werdenden Nachkriegsgesellschaft. Wegen der großen Nachfrage wurden die ursprünglich in der Handwerkstradition dänischer Möbelbauer gefertigten Stücke im großen Stil produziert. Jimmy Carter mochte sie, weil sie zurückhaltend Geschmack ausdrückten – eine politisch klug kalkulierte Wirkung. So wurde sogar das Weiße Haus mit Vodder-Möbeln ausgestattet und bald fand man sie bei Papst Paul IV im Vatikan, beim ägyptischen Präsidenten Sadat in Kairo, im Büro der Vereinten Nationen in Genf oder Gerüchten zufolge sogar bei Muammar al-Gaddafi in Libyen. Auch in Deutschland und Japan kauften die Menschen, die während des Krieges lange auf schöne Dinge verzichten mussten, die Stühle, Esstische und Sideboads, denn sie passten in diese Zeit, in der sich langsam wieder wirtschaftliche Stabilität einstellte, man aber lange nicht ans Protzen dachte.

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Vodders künstlerische Handschrift richtete sich nach einer Formel, die die skandinavische Designbewegung dem Bauhaus entliehen hat: Funktion plus Ästhetik. Formen folgen dem menschlichen Körper, sind schlicht, organisch und künstlerisch. Seine Käsebrettchen aus Teakholz gestaltete Vodder als geschwungene Maler-Paletten und die Dokumentenablagen für den Schreibtisch ähneln kleinen Plastiken. In einem Interview sagte er einmal über perfektes Design: „Es muss nützlich und schön sein.“ Das klingt etwas überstrapaziert, doch die Details an Vodders Möbeln beweisen, dass er sich Gedanken darüber gemacht hat, wie sie sich angenehm nutzen lassen: Ihm war es wichtig, dass man auf seinen Stühlen vernünftig sitzen kann – eigentlich selbstverständlich, aber gerade in designverliebten skandinavischen Entwürfen nicht unbedingt die Norm. So wurden seine Möbel besonders in der Geschäftswelt gefragt, weil etwa die Lehnen der Bürosessel aus dunklem Rosenholz und schwarzem Leder wunderbar dem Rücken folgten und sie so bequem für lange Konferenzen machten. Den „Easy Chair“ aus Teakholz kann man nach Bedarf einfach verstellen und die Chaise Longue aus Buche, Teak und einer patentierten Liegefläche aus geflochtenem Leder ist mit ihrer abnehmbaren Armstütze angenehm beim Fläzen und Lesen. Einige Stühle wurden ähnlich gespannt wie Brücken konstruiert und leben vom Anspruch, das massive Holz möglichst elegant auszudünnen, wie im Geigenbau. Das macht sie außerordentlich stabil. Auch die Anrichten aus Palisander, dezent eingesetzten Farbflächen und Chromfüßen, sind heute Klassiker und durch ihre Bauweise unverwüstlich. In all seinen Entwürfen findet sich eine dynamische Linie, die sich leicht nach oben zieht und den Stücken etwas Bestimmtes verleiht. Man findet keine scharfe Kanten, sondern Asymmetrie und organische Formen wie die blattförmigen Aussparungen, die Vodder statt Griffen in Schubladen integrierte.

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Arne Vodder, kids and dog (Courtesy: Pia Vodder)

Die Natur war ihm immer wichtig und das merkt man an seinen Möbeln. Sein Sommerhaus direkt am Meer war ihm darum der liebste Ort: „Er fuhr dort immer mit seinem kleinen Segelboot hinaus und genoss stundenlang Stille, Einsamkeit und Natur“, erinnert sich Pia Vodder. Obwohl seine Entwürfe mit der Zeit sehr gefragt wurden, nahm er sich Zeit für die Familie: „Mein Bruder und ich hatten eine sehr glückliche Kindheit“, sagt die Tochter des Designers. „Er holte uns von Parties ab und lernte mitten in der Nacht mit mir für Prüfungen. Seine Arbeitszeiten waren flexibel und auch wenn er nachts plötzlich einen Einfall hatte, stand er auf und begann, etwas zu entwerfen.“ Dazu ging er durch das von ihm entworfene, 250 Quadratmeter große Wohnhaus in die Garage, die er sich zum Studio umgebaut hatte. Es gab dort auch einen Platz für seine Frau, die sich um die Finanzen kümmerte, ein Archiv und, wie in gutbürgerlichen dänischen Haushalten üblich, eine Sauna. Das Haus war zu seiner Zeit avantgardistisch, hatte eine offene Küche mit großem Esszimmer, und war mit seinen eigenen Möbeln ausgestattet, die er extra in vielen bunten Farben designt hatte. Bodentiefe Fenster, Flachdach, im Garten spielte ein Collie mit den Kindern – Vodders Lebensraum war ein skandinavischer Mid-Century-Traum, der heute besonders in gutbetuchten Kreisen in den USA wieder belebt wird. Dort sind die Design-Magazine momentan wieder voll von lichtdurchfluteten Bungalows, Danish-Modern- und Arne Vodder-Möbeln, mit diesem warmen, klaren Look, für den man gerne viel Geld ausgibt.

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Vodders Stil wurde in den späten 50er Jahren interessant für große Möbelhäuser. Eine Zeitlang kooperierte er mit Fritz Hansen, entwarf Inneneinrichtungen für Büros oder gestaltete Wohnzimmer für France and Son, das noch heute diese Möbel im Stil dieser Zeit vertreibt. Für Sibast Furniture gestaltete er seine bekanntesten Stücke wie das teilweise farbig lackierte Sideboard 29A. Es gewann den ersten Preis auf der Mailänder Design-Triennale und wurde, erweitert um eine Bar, zum persönlichen Lieblingsstück des Designers. Daraufhin ließ Sibast alle möglichen Stücke von Vodder entwerfen und blieb ihm ein Leben lang verbunden. In den 70ern wurde er von den Vereinten Nationen als Designexperte in das damalige Jugoslawien beordert. Dort half er dabei, in Sarajevo besonders günstige Möbel zu entwerfen, um danach besonders teure Luxus-Gartenmöbel für Kircodan in Bangkok zu gestalten. Vodder liebte die Vielfalt an seiner Arbeit. „Mein Vater reiste immer gerne“, erinnert sich Vodders Tochter. Schon sein Vater, Emil Vodder, war als Erfinder der manuellen Lymphdrainage viel in Europa unterwegs. Deshalb verbrachte Arne Vodder Teile seiner Schulzeit in Frankreich und sprach sechs Sprachen. „Er liebte Abenteuer und reiste mit meiner Mutter Jonna im Auto quer durch Europa, als sie jung waren. Später waren mein Bruder und ich auch dabei und schliefen in Heuschobern und Schlössern, aßen am Straßenrand und in feinen Restaurants, kletterten auf Vulkane und segelten auf Flüssen.“ Seinen ersten Tauchgang unternahm Vodder mit Delphinen im Roten Meer, als er 70 Jahre alt war.

Kurz vor seinem Tod 2006 wurde das Interesse an seinen Möbeln wieder größer, besonders bei Sammlern. Vodders Designs wurden noch nicht übermäßig zitiert, die Nachfrage ist überschaubar und weil Stücke wie die T-förmigen, schwarzen Esszimmer-Stühle extrem selten sind, gelten sie auf Auktionen als Geheimtipps. Kürzlich wurden auch das ikonische Sideboard mit den blattförmigen Eingriffen und zwei Schränkchen aus dem Jahr 1959 neu von der dänischen Möbelmanufaktur Snedkergaarden aufgelegt. Danach gefragt, weshalb seine Möbel immernoch gut verkauft werden, antwortete Vodder gewohnt bescheiden: „Das Design muss zeitlos sein. Außerdem schätzt man es, dass man sich Gedanken über die Qualität gemacht hat und es nicht wie vom Fließband aussieht.“ Dass seine Person trotz des beruflichen Erfolges kaum bekannt wurde, hat ihn wenig interessiert. Wahrscheinlich wollte er es genau so: Unter dem Radar bleiben und die Arbeit für sich sprechen lassen. In der lauten Kunstwelt ist das eigentlich nur sympathisch.#