Schlagerstar Hansi Hinterseer und die Black-Metal Band Marduk haben etwas gemeinsam: Die Radikalisierung der Prinzipien von Gut und Böse. Eine musikalische Reise aus der Hölle ins Weihnachtswunderland.
Aus verdammt vielen Kehlen grollt ein kollektives „Aahhhuuurrgghhh“, während ein Meer aus Händen Teufelsköpfe formt. Das sind Fäuste mit ausgestreckten Zeige- und Kleinen Fingern. Man wartet auf „Evil“, das Urgestein der skandinavischen Black-Metal-Szene, Bassist der satanistischen Band „Marduk“. Zweimeter-Kerle in schwarzen T-Shirts mit Wolf auf weißem Drudenfuß, dem Band-Logo, und blasse, dünne Männer, die oben ohne ihre tätowierten Pentagramme zeigen, fordern: „Marduk, Marduk, Marduk“. Die selbsternannte blasphemischste Band aller Zeiten gibt ein Konzert in Berlin, es riecht nach dem Schweiß von 200 Männern und maximal zehn Frauen. Zwölf Kilometer westlich liegt Hansi Hinterseers Welt, ein Weihnachtswunderland, das dagegen seltsam abgestanden und süßlich riecht, nach warmen Parfums, Puder und totgekochtem Essen. Irgendwo wärmt man Würstchen auf. Zwischen einer Blockhütte und lebensgroßen Plastik-Tannen stehen vier Bläser auf weiß glitzernden Kunststoffhügeln. 1500 Sitzplätze mit grauen Klapptischchen sind in der Messehalle mit Fans besetzt, die auf das Winterkonzert von „Hansi, Hansi, Hansi“ warten. Sie tragen Schals mit den Tiroler Bergen darauf, einige haben Handy-Hüllen mit dem Gesicht Hinterseers, dem Volksmusik-Star aus Österreich. So unterschiedlich beide Welten auf den ersten Blick wirken, haben sie doch eine gemeinsame DNA. Sie sind aufgebaut auf der radikalen Vereinfachung der Prinzipien von Gut und Böse.
Hansi Hinterseers Publikum genießt seine schöne alte Welt. „Schö, dass a wieada doa seids“, ruft er und dreht den Kopf in alle Richtungen. Sein blondiertes Haar ist in den Nacken geföhnt, die Haut braungebrannt, seine Zähne schneeweiß. Er spricht jedes Wort mit einem Lächeln aus und kneift die Augen zusammen, als hätte er gelernt, dass man so ein echtes Lachen imitieren könne. Auch sein Hemd ist weiß, dazu trägt er einen breiten, geschmückten Trachten-Gürtel. Alles schreit nach Tradition. So steht der 60-jährige inmitten eines künstlichen Tirols auf der Bühne und singt mit tiefer, weicher Stimme: „Bin a Tiroler Bua – Und geh den Almen zua – ja, ja da drobn auf der Alm – da hat’s mer sakrisch gfalln“. Manchmal passen die Lippenbewegungen nicht zum Gesang, der aus den Lautsprechern kommt. Das scheint die Statistin nicht zu stören, die vor der Holzhütte im Dirndl sitzt und strickt, während Männer in bestickten Westen Zither, Harfe und Ziehharmonika spielen. Hinterseer rodelt in weißen Moon-Boots mit einem Schlitten vom künstlichen Hügel, kommt zum Stehen, fängt ebenfalls an, zu schnitzen und erzählt: „Weihnachten ist mehr, als nur Geschenke zu kaufen. Weihnachten ist jedes Jahr zur selben Zeit.“ Von zwei riesigen Bildschirmen schauen dabei abwechselnd Rehe und Hansi Hinterseer aus großen, treuen Augen, während dutzende Frauen vor der Bühne warten, um ihrem Star für die Aussprache dieser Weisheiten Rosen schenken zu dürfen. „Jetzt stehn se wieda Schlange“, sagt eine blondierte Berlinerin mit Plastikfingernägeln und verzieht den Mund. „Die biedern sich immer so an.“ Auch sie war schon mit 600 anderen Frauen und Hansi auf Fanurlaub in den Bergen. „Der Hansi is jut druff“. Bei „Heidschi Bumbeidschi“ steigt sie mit ein: „Bum bum, bum bum.“ Die traurige Passage „Heidschi-Bumbeidschi is kumma und hat ma mei Büaberl mitg’numma und hat‘s neama bracht“ hat der Volksmusiker einfach weggelassen. Alles ist gut in Hinterseers Welt, „wir träumen uns ganz weit weg“, heißt es immer wieder. Eine Welt, in der für den Moment niemand alleine ist. Und weil diese Welt nur in seinen Liedern existiert, hören sie die Fans, die oft alt, krank und einsam sind, mit Leidenschaft. „Meine Mutter ist im Heim und schläft jede Nacht auf einem Kissen mit seinem Gesicht darauf ein“, sagt die Berlinerin. „Heute wollen wir lachen – lass uns leben – heute sind wir frei – La la la – ja ja ja – Alles im Lot – Alles ok “. Hinterseer bekommt Standing-Ovations.
Auch das Black-Metal-Konzert im Osten der Stadt ist mittlerweile bei den Zugaben angekommen. Aus rotem Sprühnebel treten erneut die vier Mitglieder Marduks, denen das strähnige Haar mittlerweile nass in die Gesichter hängt und die weiß-schwarze Schminke zu einem grauen, verwest wirkenden Ton zusammenlaufen lässt. Marduks Sänger „Mortuus“, mit eisernem Ritterkreuz um den Hals und Patronengürtel um die Hüften, erwidert das Geschrei des Publikums. Bass und Schlagzeug peitschen dazu einen Rhythmus wie ein viel zu schneller Puls, der sich ab und an überschlägt. Das ist derart laut und dicht, dass der Kopf leer wird, denn man versteht seine eigenen Gedanken nicht mehr und wird ganz Körper, wie beim Sport. „Ich kann einfach abschalten“, sagt ein junger Grafiker im Publikum dazu. Der Sänger zieht seine Mundwinkel nach unten, grunzt: „The devil wants to stick you, yeah – He comes to you at night, he wants to take a bite!” Er schreit „You want more, fuckers?“ und die Beschimpften Fans schreien mit hochgerissenen Armen „yeeees“, dann folgt „I can’t hear you, fuckers“ und darauf noch lauter „yeees!“. Das Unkalkulierbare und Böse, Tod, Melancholie, Wahnsinn, Drogen, Sex und Perversion: Die dionysische, obskure Ästhetik von Bands wie Marduk wirkt auf ähnliche Weise anziehend, wie die Kunst der Schwarzen Romantik von Füssli, Poe und Wiertz. Dabei wird Negativ und Negativ wie in der Mathematik zu etwas Positivem und so ist Black Metal auch in Kreisen angekommen, wo man ihn nicht vermutet hätte: Die FAZ-Musikredakteurin Eleonore Büning, ganze Gruppen der sogenannten digitalen Boheme oder Literaten wie Iris Hanika sind Metal-Fans. „Das konzentrierte Böse mildert die eigene Hölle im Kopf“, schrieb Hanika in ihrem Roman „Tanzen auf Beton“ dazu. Der temporäre mentale Komplettstillstand nach zwei Stunden Bass-Inferno wirkt wie ein Kurzurlaub, weil man gereinigt vom eigenen Bösen daraus hervorgeht.
Man sehnt sich folglich nicht unbedingt nur nach einer heilen Welt oder dem absoluten Chaos, sondern nach einer Welt, in der man für den Moment ganz bei sich ist. Das funktioniert mittels Extremen: das absolut Gute, das absolut Böse – und das so direkt und unkompliziert wie möglich. Für viele Menschen tut eine kleine Reise nach Tirol oder in die Hölle einfach gut, denn sie schafft den perfekten Fluchtort für ein paar Stunden, einen Urlaub fürs Gehirn. Denn die Graustufen, die die Realität ausmachen und das Leben komplex, die tausend Töne zwischen Gut und Böse, zwischen heiler Welt und Hölle, scheinen für einen kurzen Moment ganz klar. Das ist unbezahlbar.